Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit einem aktuellen Urteil seine bisherige Rechtsprechung zur Billigkeit des Erlasses von Säumniszuschlägen deutlich geändert. Das Urteil betrifft Fälle, in denen eine Steuerforderung später als fehlerhaft erkannt und rückwirkend aufgehoben wird – und stellt klar: Ein gerichtliches Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist für den Erlass nicht zwingend erforderlich.
Hintergrund: Nachzahlung, Einspruch, abgelehnter AdV-Antrag
Im entschiedenen Fall wurde eine Einkommensteuerforderung zunächst rechtskräftig festgesetzt. Die Kläger legten Einspruch ein und beantragten beim Finanzamt (FA) mehrfach AdV, was jedoch abgelehnt wurde. Später stellte sich heraus, dass die Festsetzung fehlerhaft war – die Steuer wurde rückwirkend gesenkt. Dennoch verlangte das FA weiterhin die Zahlung bereits entstandener Säumniszuschläge.
Sowohl das FA als auch das Finanzgericht (FG) verweigerten den Erlass – mit der Begründung, die Kläger hätten zusätzlich einen gerichtlichen AdV-Antrag stellen müssen.
BFH widerspricht: Kein Zwang zum gerichtlichen Verfahren
Der BFH stellte jedoch klar:
Ein gerichtlicher AdV-Antrag ist nicht zwingend erforderlich, wenn der Steuerpflichtige nachweislich alles unternommen hat, um eine AdV bereits im außergerichtlichen Verfahren beim FA zu erreichen.
Wichtig sei allein, dass die Anträge beim FA substanziell, nachvollziehbar und gut begründet waren. Der Erlass könne dann auch aus sachlichen Billigkeitsgründen erfolgen – selbst wenn kein gerichtliches AdV-Verfahren eingeleitet wurde.
Das Verfahren wurde an das FG zurückverwiesen, um zu prüfen, ob die Anträge der Kläger diese Voraussetzungen erfüllten.
Bedeutung für die Praxis: Einzelfallprüfung entscheidend
Für Steuerpflichtige bedeutet dieses Urteil mehr Rechtssicherheit und Flexibilität:
Ein fehlender gerichtlicher Antrag auf AdV führt nicht automatisch zum Ausschluss eines Erlasses von Säumniszuschlägen – sofern die außergerichtlichen Bemühungen überzeugend waren.
Gleichwohl bleibt ein Restrisiko: Ob ein Antrag als „ausreichend substanziell“ gewertet wird, ist stets erst im Nachhinein beurteilbar. Wer sicher gehen will, sollte im Zweifel auch den gerichtlichen Weg zur AdV nicht ausschließen.
