Im Steuerrecht spielt die Bewertung lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen – etwa bei Nießbrauchsrechten – eine bedeutende Rolle. Für die Berechnung der Erbschaft- und Schenkungsteuer wird dabei auf sogenannte Sterbetafeln zurückgegriffen, welche die statistische Lebenserwartung einer Person berücksichtigen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun mit Urteil vom 20. November 2024 bestätigt, dass es verfassungsrechtlich zulässig ist, bei dieser Bewertung zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden. Die Anwendung geschlechtsspezifischer Vervielfältiger ist demnach nicht diskriminierend, sondern sachlich gerechtfertigt.
Nießbrauch als steuerlich bewertbare Belastung
Dem Urteil lagen Schenkungen von GmbH-Anteilen zugrunde, bei denen sich der Vater der Klägerin ein lebenslanges Nießbrauchsrecht vorbehalten hatte. Das Finanzamt berücksichtigte dieses Nutzungsrecht bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs und zog den Kapitalwert des Nießbrauchs vom Schenkungswert ab. Zur Berechnung dieses Kapitalwerts wurde die statistische Lebenserwartung des Vaters herangezogen – konkret anhand der Sterbetafel für Männer, was zu einem niedrigeren Vervielfältiger und somit geringeren Abzugsbetrag führte, als dies bei Anwendung der Sterbetafel für Frauen der Fall gewesen wäre.
Klage wegen vermeintlicher Diskriminierung
Die Klägerin beanstandete die geschlechtsbezogene Differenzierung als Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot. Ihrer Auffassung nach stelle die Verwendung unterschiedlicher Vervielfältiger je nach Geschlecht eine unzulässige Diskriminierung dar. Es dürfe im Steuerrecht keine Rolle spielen, ob der Nießbrauchsberechtigte Mann oder Frau sei – dies sei eine personenbezogene Eigenschaft, die in der Besteuerung neutral zu behandeln sei.
Der BFH sieht keine verfassungsrechtlichen Bedenken
Der Bundesfinanzhof wies die Klage jedoch ab und bestätigte die Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Ansicht des Gerichts liegt in der geschlechtsspezifischen Differenzierung keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung, da sie auf objektiv nachvollziehbaren und sachlich tragfähigen Gründen beruht. Die Lebenserwartung von Männern und Frauen unterscheidet sich statistisch weiterhin deutlich, was sich unmittelbar auf die zu erwartende Dauer eines Nießbrauchsrechts auswirkt. Eine geschlechtsneutrale Betrachtung würde demnach zu einer realitätsfernen Bewertung führen und könnte entweder zu einer Über- oder Unterbesteuerung führen – je nachdem, welches Geschlecht betroffen ist.
Darüber hinaus betonte das Gericht, dass im konkreten Fall der Vater der Nießbrauchsberechtigte war und somit die männliche Sterbetafel zur Anwendung kam. Diese führt zu einem geringeren Vervielfältiger und mindert dadurch den steuerpflichtigen Erwerb. Ein Nachteil für die Klägerin konnte daher ohnehin nicht festgestellt werden. Die Kritik an einer möglichen Diskriminierung entbehre daher bereits im Einzelfall einer tatsächlichen Grundlage.
Keine Aussage zur Wirkung des neuen Selbstbestimmungsgesetzes
Bemerkenswert ist, dass sich das Urteil auf die Rechtslage im Jahr 2014 bezieht. Der BFH äußerte sich ausdrücklich nicht zur Frage, welche Auswirkungen das neue Selbstbestimmungsgesetz vom 1. November 2024 auf die Anwendung geschlechtsspezifischer Sterbetafeln in Zukunft haben könnte. Dieses Gesetz sieht unter anderem vor, dass Personen ihr Geschlecht und ihren Vornamen durch Selbstauskunft ändern lassen können, was zukünftig neue Bewertungsfragen aufwerfen dürfte – insbesondere, wenn sich das statistische Geschlecht von der rechtlichen Geschlechtsangabe unterscheidet.
Fazit: Praktikable und rechtlich gesicherte Grundlage für Steuerberechnungen
Die Entscheidung des BFH schafft für Steuerpflichtige, Berater und Finanzämter wichtige Rechtssicherheit. Die Anwendung geschlechtsspezifischer Sterbetafeln bleibt zulässig und ist verfassungsrechtlich abgesichert – zumindest solange die Bewertung sich auf objektiv nachweisbare Unterschiede in der Lebenserwartung stützt. Für künftige Fälle mit Bezug zum Selbstbestimmungsgesetz bleibt jedoch abzuwarten, ob und wie der Gesetzgeber oder die Rechtsprechung auf sich ändernde gesellschaftliche Rahmenbedingungen reagiert.